DiLi-Tech

Twinsound CST-80 MK II Röhrenverstärker

Ich wollte immer schon (wieder) einen haben...

Als junger Teeny Anfang der 70-er Jahre habe ich viel mit Elektronenröhren gebastelt, nachdem ich festgestellt hatte, dass die Transistoren (z.B. AF125) bei meinen Experimenten reihenweise starben und sich das Taschengeld-Budget regelmäßig erschöpfte. Also: Umstellung auf robuste Röhren. Diese ließen sich leicht bei Sperrmüll-Sammelaktionen gewinnen. Meinen Eltern war das damals garnicht recht, da die Röhren mit lebensgefährlich hohen Anodenspannungen betrieben werden. Und tatsächlich behaupte ich heute stets, dass ich seinerzeit durch die vielen Stromschläge teilweise immun dagegen geworden bin...

Ganz oben auf der Bastelliste standen selbstgebaute Kurzwellenempfänger, illegale MW- und UKW-Piratensender und eben Ton-Leistungsverstärker. Da gab es z.B. einen single-ended EL84-Verstärker mit ECC82 in den Vorstufen mit lediglich ein paar Watt Ausgangsleistung. Im Sperrholzgehäuse! Betrieben an einem alten Röhrenfernseher-Schrank mit 2 seitlichen recht großen Breitbandlautsprechern ließ ich den Bastelkeller ordentlich dröhnen...

Genug Nostalgie!

Nachdem der erste Anlauf vor Zeiten nicht von Erfolg gekrönt war (der damals bestellte "Dynavox VR70e-2" hat zum Himmel gestunken - im wahrsten Sinne des Wortes), kurze Zeit später ein neuer Anlauf. Es wurde ein ca. 5 Jahre alter Verstärker ersteigert. Lt. Verkäufer ist er aus dem Showroom eines Hifi-Studios und nicht mehr als 15 Std. gelaufen. Na jedenfalls sind alle leicht flüchtigen Stoffe (Lösungsmittel der Lacke, Tauchversiegelung der Trafos) abgegast und man kann den Raum ohne Gasmaske betreten. Und der Verstärker spielt in einer etwas besseren Liga. Der Neupreis liegt bei ca. 1000 €, etwa doppelt soviel wie seinerzeit der Dynavox-Verstärker kostete. Die von mir gemessenen Werte sind durchweg besser als beim Dynavox. Den Transport per DHL hat der Verstärker ohne Schaden überstanden.

Es folgen zunächst einige Impressionen:

Fig. 1: Mein neuer Röhrenverstärker

Fig. 2: Spiegelnde Oberflächen

Fig. 3: Heimelig leuchtend...

Fig. 4: Echte "China-Böller"

Fig. 5: Unterseite - der Aufbau erinnert sehr stark an Dynavox; ich möchte wetten, dass die chinesische "Manufaktur" dieselbe ist!

Fig. 6: Oben: die kuriose "Extra-Platine".

Fig. 7: 'Mal ein Bisschen messen...

Fig. 8: 1kHz Rechteck (2V/div + 500us/div) - sieht nicht so toll aus: deutliche Überschwinger. Sinus und Dreieck sind dagegen einwandfrei

Der Verstärker zeigt im Originalzustand beim Messen mit Rechtecksignalen leichte Überschwinger. Der Frequenzbereich (bei ca. 1 Watt Ausgangsleistung gemessen) ist erstaunlich glatt: innerhalb des Bereiches zwischen 10 Hz und 125 kHz liegt der max. Pegelunterschied bei knapp 1 dB mit einem kaum ausgeprägtem Maximum bei 90 kHz. Die untere Grenzfrequenz liegt bei 4 Hz (!), die obere bei 160 kHz (!). Die Überschwingantwort beim Rechteck ist vermutlich der Tribut an diese doch recht hohe obere Grenzfrequenz. Im Schaltbild sind nirgends Kondensatoren vorgesehen, die die obere Grenzfrequenz begrenzen könnten. Ich habe deshalb eine Modifikation vorgenommen: ein zusätzlicher 100pF-Kondensator erhöht die Gegenkopplung bei höheren Frequenzen. Die obere Grenzfrequenz sinkt damit auf 120 kHz - das sollte immer noch reichen... Die Überschwinger sind nur noch andeutungsweise erkennbar. Warum gerade genau 100pF? Weil er in meiner Krabbelkiste vorhanden war und (zufällig sofort) den gewünschten Mess-Effekt brachte, ohne den Frequenzgang im hörbaren Bereich zu verändern. An anderer Stelle liest man dazu: "Jedes mehr an Picofarad will ausgiebig gehört werden". Na ja... Wenn Einer sein Geld damit verdient... Klappern gehört zum Handwerk!

Die max. Ausgangsleistung wurde mit 39 Watt bei 1 kHz und 8 Ohm Lastwiderstand gemessen (ein Kanal - bei Stereoaussteuerung sinkt die Kanalleistung geringfügig; das ist aber zu erwarten gewesen). Diese Leistung wird sogar bis in die Tiefen von 20 Hz geleistet! Darunter geht ihm allerdings die Puste aus! Dabei wurde darauf geachtet, dass eine sichtbare Signalverformung (vor Erreichen der Aussteuerungsgrenze) nicht auftritt. Klirrfaktoren / Intermodulationsprodukte wurden mangels Messmöglichkeiten nicht ermittelt. Die max Ausgangsleistung nimmt zum oberen hörbaren Ende ab. Aber das ist praktisch kein Nachteil: die spektrale Leistungsdichte bei Musik nimmt zum oberen Ende ebenfalls ab. Bei 10 kHz und höher kommt vielleicht 1% der Maximalleistung an. Das ist auch gut so, sonst würden die Hochtöner reihenweise sterben... Dicke Leistung wird im Bassbereich benötigt. Da punktet der CST-80. Tipp für Vinyl-Fans: Rumpelfilter einschalten. Dann wird keine Energie für nicht hörbare Töne verschwendet. Genau aus diesem Grunde wurde dieses Subsonic-Filter erfunden!

Auch die nachfolgenden Messungen wurden bei einer Ausgangsleistung von ca. 1 Watt an einem (realen) 8 Ohm-Widerstand durchgeführt:

Fig. 9: 1kHz Rechteck (2V/div + 500us/div) - nun sauber

Fig. 10: 10kHz Rechteck (2V/div + 50us/div)

Fig. 11: 100Hz Rechteck (2V/div + 5ms/div) - besser kann das mein Sony-Transistor-Verstärker (TA-F590ES) auch nicht! Er ist eher noch etwas schlechter!

Fig. 12: 1kHz Rechteck in Großaufnahme(2V/div + 100us/div)

Fig. 13: 25kHz Rechteck (2V/div + 20us/div)

Fig. 14: 50kHz Rechteck (2V/div + 10us/div) - so langsam nähert sich die Signalform dem Sinus an!

Fig. 15: 200Hz Dreieck

Fig. 16: 2kHz Dreieck

Fig. 17: 20kHz Dreieck - ganz ordentlich!

Fig. 18: Moderates Clipping bei Übersteuerung (mit 1 kHz-Sinussignal) - röhrentypisch. Man erkennt deutlich den Einfluss der Slew-Rate

Twinsound CST-80 Schematic

Ich habe im Netz vergeblich nach Schaltungsunterlagen / Service-Manuals gesucht. Deshalb habe ich mir die Mühe gemacht, die Schaltung selbst aufzunehmen. Hier das Schaltbild (Schematic) des Twinsound CST-80 MK II.

[Update:] Der Verstärker scheint mit großer Sicherheit mit dem TAC-34 von Tube Amp Company vergleichbar zu sein.

Der von mir zusätzlich eingebaute Kondensator ist rot hervorgehoben. Der Signalzug ist voll symmetrisch aufgebaut: wie ein Operationsverstärker mit Röhren. Kurios ist die Verwendung der "Extra-Platine": vermutlich sollte auf der Frontplatte ein preisgünstiger Ein/Ausschalter Verwendung finden. Also wurde die nötige Schaltleistung durch ein Relais mit passender Beschaltung realisiert. Das beworbene röhrenschonende Einschaltverzögerungsrelais existiert definitiv nicht und macht vom Prinzip hier keinen Sinn. Spindeltrimmer finden Verwendung für die Einstellung der Anodenruheströme der Endröhren - damit lässt sich die Einstellung sehr feinfühlig vornehmen. Die Langzeitkonstanz ist gut. Leider gibt es keinerlei Mess- und Einstellmöglichkeiten von Außen. Dazu muss also das Gerät geöffnet werden.

Ansonsten ist das Gerät ganz ordentlich aufgebaut. Ordentliche Platine. Die Heizspannungsversorgung der Doppeltrioden hätte man besser mit verdrillten Kabeln statt über die Leiterbahnen (Unterseite) realisieren sollen; die Versorgung der Endröhren mit Heizspannung ist dagegen vorbildlich! Die restliche Verkabelung sieht sauber und übersichtlich aus, auch die Lötverbindungen (alle mit bleifreiem Lötzinn) sind sauber. Bei den Ladekondensatoren für die Anodenspannung würde man sich eine höhere Spannungsfestigkeit wünschen - diese Kondensatoren sind wirklich grenzwertig! Ihre Kapazität ist dagegen völlig ausreichend dimensioniert. Die Qualität der verbauten Koppelkondensatoren und der Widerstände ist gerade noch akzeptabel. Hier wurde gespart.

Fig. 19: Hier wird der zusätzliche (hochwertige Styroflex-) Kondensator eingelötet. Der gelbe Draht liefert die Gegenkopplungsspannung direkt von der 8 Ohm-Ausgangsbuchse.

Die Über-Alles-Gegenkopplung ist recht gering: bei stillgelegter Gegenkopplung steigt die Gesamtverstärkung gerade einmal um knapp 6db. Das kommt der Dynamik des Röhrenverstärkers zugute!

Die Schaltung birgt sonst keinerlei Überraschungen; ist halt Technik von Vorgestern (mal abgesehen vom modernen Differenzverstärker-Design). Vielleicht ist noch die verbaute Drossel zur Brummunterdrückung zu erwähnen. Es brummt und rauscht in der Tat nicht hörbar!

Die verwendeten Röhren sind gängige Typen und als Ersatzteile halbwegs preisgünstig verfügbar. Die Endröhren EL34B sind im Grunde identisch mit den altbekannten EL34. Das "B" soll sagen, dass die chinesische Produktion qualitativ den bekannten Produkten aus St. Petersburg ebenbürtig sein soll.

Der Betrieb eines Röhrenverstärkers ist nicht gerade ein Paradebeispiel für den nachhaltigen Einsatz knapper Ressourcen: der Ruhestrombedarf liegt bei ca. 130 Watt! Davon schlucken die Heizungen der 8 Röhren einen Großteil. Aber nur ein Röhrenverstärker hat diese unvergleichliche Optik und nicht die schlichte Nüchternheit der Solid-State-Produkte.

Klanglich überzeugt die Endstufe - auch ohne meine Modifikation. Die Messwerte beweisen, dass die Qualität stimmt - allen Unkenrufen zum Trotz!. Aufwändige Tuningmaßnahmen sind absolut unnötig und m.E. nur von akademischen Wert; vermutlich würden nur vergoldete Ohren einen Unterschied hören. Der nicht zu unterschätzende Faktor Einbildung spielte dann wohl die Hauptrolle. Der Verstärker macht auch so Spass! Auch die bei Hifi-Gurus obligatorischen "blauen Alps"-Potis können nicht zaubern und sind unnötig, wenn der Verstärker - wie bei mir - als reine Endstufe mit voll aufgedrehtem Lautstärkeregler betrieben wird. Ich glaube eher an Messwerte und nicht an Magie und Zauberei! Was im Zeit- und Frequenzbereich nicht messbar ist, kann auch nicht hörbar sein! Ist doch nur ganz normale Physik.

Für manch einen mag es auch sinnvoll sein, anstelle seines Verstärkers erst einmal die eigenen Ohren vermessen zu lassen. Ab 50 mit Tinnitus sind wohl kaum mehr Höchstleistungen des Gehörapparates zu erwarten. Und wer beim Orten von Schallquellen mit verbundenen Augen nur mit mehrfachen Kopfdrehen erfolgreich ist, sollte besser nicht die fehlende präzise räumliche Abbildung dem Verstärker oder den Boxen anlasten...

Warmer Röhrensound? Im direkten Vergleich (mittels Lautsprecherumschalter) zu meinem Sony-Verstärker ist ein geringer Unterschied hörbar. Wenn ein Röhrenverstärker anders als ein Transistorverstärker klingt, dann liegt das an den evtl. beim Ersteren wahrnehmbaren harmonischen (überwiegend K2-) Verzerrungen - wegen der leicht gewölbten Kennlinie, die durch nur geringe Gegenkopplung nicht "glattgebügelt" wird. Vermutlich sind die Verzerrungen von Lautsprecher-Chassis aber um Größenordnungen höher als die der Verstärker! Im oberen Leistungsbereich setzen Röhrenverstärker sehr moderat mit dem Clipping ein. Weiterhin (und ich glaube dass das der eigentliche Einfussfaktor ist!) bedingt der geringere Dämpfungsfaktor der Röhrenverstärker mehr Eigenleben der Lautsprecher. Ein geringerer Dämpfungsfaktor (=höherer Ausgangswiderstand wg. geringerer Gegenkopplung; s.o.) ist nicht unbedingt schlecht; bei den dazu passenden Lautsprechern kann er ggf. auch von Vorteil sein. Ein testweise in Serie zum Transistor-Verstärker geschalteter 1,5 Ohm-Widerstand erzeugte eine sehr ähnliche Klangveränderung...

Fig. 20: Im Vordergrund meine geliebte Squeezebox (Netzwerk-Player und Streaming-Client)

Fig. 21: Zum Verstärker gibt es einen Schutzkäfig dazu. Frage: was / wer wird da geschützt??

Fig. 22: Mein Rack in der Totalen

Fig. 23 

Fig. 24: Die verwendeten Lautsprecherboxen haben einen recht hohen Wirkungsgrad (92 dB / Watt). Damit geht dann trotz der eher bescheidenen Verstärker-Ausgangsleistung echt die Post ab!

Fig. 25: Die verwendeten Lautsprecherchassis sind die Dynaudio-Typen D21, D28, D54 und 30W54. Bei Kennern ist diese Kombination legendär und ich behaupte unübertroffen!

Fig. 26: Die Gehäuseform ist von mir entwickelt und aufwändig optimiert worden. Basis war der Dynaudio-Bauvorschlag DAK 3-210 aus den frühen 80-er Jahren. Damals hat Dynaudio die Chassis noch einzeln verkauft. Heute bekommt man sie nur im Austausch - und bei ebay. Die 6 dB-Weichen garantieren hohe Impulstreue und phasengenaue Rekombination der Schallereignisse der Chassis. Allein über diese Boxen könnte ich ein Buch schreiben... Vielleicht gibt es später an dieser Stelle mehr dazu.

Mein Lesetipp: "Hifi auf den Punkt gebracht". Peter Pfleiderer räumt hier mit vielen Irrtümern der Hifi-Branche auf (er spricht mir aus der Seele und macht Schluss mit dem Hifi-Voodoo) und stellt seine wirklich interessanten Erfindungen und Grundlagenforschungen vor. Das Buch ist von 1990 und leider nur noch im Antiquariat zu recht hohen Preisen zu bekommen. Der Autor ist Ende 2019 verstorben. Da die beschriebenen Grundlagen weiterhin Gültigkeit haben, ist das Buch trotz seines Alters absolut lesenswert.

Lesetipp 2: Diplom-Arbeit "Black Cat" an der TU Berlin; auch hier wurde das Differenzverstärker-Prinzip präferiert.

Lesetipp 3: hier wird über populäre Röhren-Irrtümer aufgeklärt

Und das hat mich völlig umgehauen: Cryo-Röhren - ich glaube es nicht... Da kann wohl einer zaubern. Was für ein Mist !!!

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